HARTMUT BÜHLER FOTOGRAFIE

HARTMUT BÜHLER FOTOGRAFIE

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Jonny Vekemans

Jonny Vekemans

Vom Festhalten der Zechenkultur per Lochkamera auf Blueprints
Fotokünstler Jonny Vekemans gastierte mit goldfarbenem Container am Wipa Gelsenkirchen und erinnert an das Schwarze Gold des Bergbaus

Viele junge Menschen wissen heute nicht, dass es auch einmal eine Zeit vor dem Smartphone gab und Telefone beispielsweise aus Bakelit hergestellt wurden. Entsprechend wissen viele auch nicht, worauf der heutige Wohlstand und die Infrastruktur Nordrhein-Westfalens basiert: aus ehemals harter und härtester Arbeit unter Tage in den Zechen des Ruhrgebiets.

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Doch dieses Nichtwissen und der oft despektierliche Umgang mit Geschichte ist keine regionale oder nationale Angelegenheit, sie gilt wohl weltweit. Einer der das kulturelle Erbe der Zechenzeit bewahren will, ist Jonny Vekemans (55). Der Fotokünstler (Jonny ist kein Künstler-, sondern sein Geburtsname) aus Belgien arbeitet dagegen: mit der Lochkamera und dem 1842 entwickelten fotografischen Verfahren: der Cyanotypie. Er vermittelt mit seinen vor Ort durchgeführten Workshops Kindern, Erwachsenen und professionellen Fotografen den Umgang mit der Camera Obscura und der Cyanographie. So wird denn allen Beteiligten die Magie der pinhole camera verbunden mit der Filmentwicklung nahegebracht. Die eher zeitaufwendige Arbeitsweise mit den  (Agfa-)Filmen bestückten Lochkameras fordert von den Akteuren ein bewussteres Sehen und Erkennen der Motive. Gerade Kinder sind, so Vekemans, begeistert vom Fotografieren per simpler leerer Farbdosen und dem „Belichten“ per Gaffa Tape, das über der Lochblende klebt. Das Resultat, ein Unikat ist als blauschimmernde Cyanographie ein echtes Originalkunstwerk. Analog aufgenommen und entwickelt mit Technik von gestern wird es digital vergrößert – Transformation pur.

Die Fotoaktionen sind Teil der Feierlichkeiten zum 20jährigen Bestehen des Wissenschaftsparks und passen perfekt „ins Bild“. Denn der Wipa Gelsenkirchen hat sich längst zu einem lebendigen Forum zeitgenössischer Fotografie etabliert.

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Montanregionen im Erzgebirge, Österreich, Belgien, Polen, der Tschechischen Republik waren Stationen Vekemans, der das Bergbau-Erbe dokumentiert. Maßgeblich unterstützt von Paul Boutsen, coalface.be

„Die zwei Leben“ des Jonny V.
Jonny Vekemans weiß im doppelten Sinne, was er tut und warum er sich derart engagiert. Von 1977-87 arbeitete er als Mechaniker und Ajusteur/Schlosser unter Tage in einer Zeche in Winterslag. Sieben gab es damals im Raum Limburg. Doch das Zechensterben erfasste auch diese Bergbauregion, der Strukturwandel produzierte viel Arbeitsloslosigkeit. Unter ihnen auch Jonny. Mit seiner Abfindung kaufte er sich ein Motorrad, mit dem er in Norwegen einen schweren Unfall verursachte. Nach zehn Tagen im Dunkeln seines Komas erwachte er und – erinnerte sich an nichts. Weder an seine frühere Arbeit mit wenig Licht noch an sein persönliches Umfeld. Aber im hohen Norden bildet sich ein neues Bewusstsein, ein neues Sehen und Wahrnehmen der Umwelt. Dabei entdeckt der teilseitig Gelähmte eine Passion zur Architektur. Ihr folgte ein sechsjähriges Kunst- und Fotografiestudium an der Königlichen Akademie der Wissenschaften, Literatur und Schönen Künste in Hasselt/Belgien. Seine Abschlussarbeit trägt den Titel „Das Licht ist aus“ und hat das Sterben des heimischen Bergbaus zum Inhalt.

Vekemans ist Sieger von: „Master Of Panoramic Arts ’96“ (First price in International Photography Contest in Finland, won with Cyanotype taken with a pinhole camera).
Nebenbei: Vekemans beweist, wie eine kluge Idee, ausgeführt mit einer einzigartigen Arbeitsweise, zu einer erfolgreichen Alleinstellung im schwierigen Berufsfeld Fotografie führen kann. Darüber hinaus erfüllt er als unermüdlicher Dokumentarist einer untergehenden Kultur ein überaus wertvolles Engagement für die Gesellschaft. Reich wird er dabei nicht: er arbeitet ohne Honorar und lebt von seiner Unfallrente. Tatkräftig unterstützt von Ehefrau Annick Castro (Bildende Künstlerin).

Zur Cyanographie:
1842 entwickelte der englische Naturwissenschaftler und Astronom Sir John Herschel dieses Verfahren. Die Cyanotypie war das dritte Verfahren nach der Daguerreotypie und Talbottypie /Kalotypie zur Herstellung von stabilen fotografischen Bildern. Es ist ein Verfahren, das auf Eisen und nicht auf Silber beruht, welches sonst bei der herkömmlichen Herstellung von Photoabzügen (und den zuvor erfundenen Verfahren) verwendet wird.

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Jonny Vekemans und seine LEICA, mit der diese Blueprints aufgenommen wurden
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Die Cyanotypie, auch als Blaudruck, Eisenblaudruck bekannt, ist ein altes fotografisches Edeldruckverfahren mit typisch cyanblauen Farbtönen. Die Blende von Vekemans selbstgebauter Lochkamera wird mit Gaffa Tape geöffnet

Anna Atkins, eine britische Naturwissenschaftlerin, machte diese fotografische Technik durch ihre Bücher bekannt, in denen sie Farne und andere Pflanzen mit Cyanotypien dokumentierte. Sie gilt durch diese frühe Anwendung als erste Fotografin. Künstlerisch stand diese Technik immer etwas im Abseits, sie wurde lange Zeit nicht zu den fotografischen Edeldruckverfahren gezählt.

Das Projekt Container001 The Industrial Heritage = Gold Tour wurde ins Leben gerufen von der belgischen Organisation Het Vervolg/Coalface und Jonny Vekemans. Vor Ort und in Gelsenkirchen wurde „The Ruhrgebiet in Blue“ vom Wissenschaftspark Gelsenkirchen gefördert und in Kooperation mit bild.sprachen Fotografieprojekte/Pixelprojekt _ Ruhrgebiet umgesetzt.

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Container001 beherbergt auch eine Dunkelkammer / Fotokünstler Vekemans war in seinem „ersten Leben“ als „ajusteur“ zehn Jahre „unter Tage“ auf einer Zeche in Winterslag/Belgien

Text & Ausstellungsfotos: Hartmut S. Bühler, Düsseldorf

Links:

CONTAINER001 im Wissenschaftspark Gelsenkirchen
ibug-art.de
lightpaintings.be
container001.com
derwesten.de
rostfest.at
detijdhervonden.be
gherm.de/fotogalerien/cyanotypien
de.wikipedia.org/wiki/Cyanotypie
cyanographie.com
coalface.be
coalface.be
transitlab.be