HARTMUT BÜHLER FOTOGRAFIE

HARTMUT BÜHLER FOTOGRAFIE

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(Mis)Understanding Photography

(Mis)Understanding Photography

(Mis)Understanding Photography im Essener Museum Folkwang – „Zu gut, um nur als Kunst wahrgenommen zu werden“
(Mis)Understanding Photography – Foto-Künstler und Fotografen blicken auf das Medium Fotografie, das unser aller Leben heute und jeden neuen Tag extrem beeinflusst: seit seiner Entstehung vor 175 Jahren wird dieses Medium von Künstlerinnen und Künstlern nicht nur genutzt, sondern auch fotografisch befragt, analysiert und reflektiert.

Fazit vorweg: Die Ausstellung (Mis)Understanding Photography im Museum Folkwang in Essen stellt ein Muss dar für all jene, die nicht nur nach links und rechts, sondern auch „in die Tiefe“ blicken wollen. Mit der Geschichte der „Fotografie im Spiegel ihrer selbst“ setzt sich im Museum Folkwang erstmals eine große Ausstellung in umfangreicher Weise auseinander: etwa 800 Objekte in zwölf Räumen auf 1400 Quadratmetern.

Die Aussteller offerieren keine leicht verdauliche Mainstream-Kost, sondern ein facettenreiches Spektrum, das den Verstand der Besucher herausfordert. Der Betrachter muss sich auf Sehgewohnheiten und Statements einlassen, deren Ebenen über herkömmliche Ausstellungen hinaus führen. Angeordnet in einer Sequenz aus fünf Kapiteln – von Meditationen über das Material der Fotografie; Individuen, Rituale, Sonntagsbilder; Dekonstruierte Identitäten; Vorbilder, Nachbilder, Ikonen; Die Evidenz der Dokumente und die Obsession des Sammelns bis zu den „Manifesten – Eine andere Geschichte der Fotografie“ erweist sich die Fotografie als ein Spiegelkabinett, in das man sich auch lustvoll verirren kann.

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Alfredo Jaar – You do not take a photograph, you make it. 2013, Leuchtkasten. Ausstellungsfoto: Hartmut S. Bühler

In (Mis)UP – Werke und Manifeste geht es fortlaufend um Definitionsversuche der Fotografie, sei es anhand von fotografischen Arbeiten oder auch von Schlüsseltexten über das Medium (Dr. Tobia Bezzola, Direktor des Museums Folkwang). Bei näherem Hinsehen sieht die Wirklichkeit anders aus: Nichts versteht sich von selbst, wenn es um die Selbstverständlichkeit der Fotografie geht … Es geht um die Kunst des Sehens und des Verstehens (Hortensia Völkers, Künstlerische Direktorin der Kulturstiftung des Bundes).

Von einem ironischen Anti-Manifest der Fotografie, Mel Bochners „Misunderstandings. A Theory of Photography“ (1970) leitet die Essener Schau ihren Titel ab. Darin zitiert der US-Künstler Marcel Duchamps Provokation: „Ich möchte, dass die Fotografie die Leute dazu bringt, die Malerei zu verachten, bis etwas anderes die Fotografie unerträglich machen wird.“

Florian Ebner, Leiter der Fotografischen Sammlung: „Wann wird die Fotografie unerträglich sein – wenn wir ihrer schieren Masse nicht mehr Herr werden, wenn sie nur noch Kunst sein will? Oder wäre dies auch nur eines der vielen Missverständnisse in Bezug auf die Fotografie?!“

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Erik Kessels – Mother Nature, 2014 – Rauminstallation mit Pflanzen und C-Prints, gesammelte Fotografien. Ausstellungsfoto: Hartmut S. Bühler

Übrigens: Klaus Honnef, Professor für Theorie der Fotografie, zeigt sich begeistert von der Essener Exhibition und schrieb im sozialen Netzwerk Facebook am 28. Juni: „Im Westen etwas Neues: Inspirierende fotografische Ausstellungen. Im Folkwang Museum Essen und im Kölner Museum Ludwig. Alle drei überraschen mit frischen Perspektiven auf das Medium: „(Mis)Understanding Photography“ in Essen und „Das Museum der Fotografie – Eine Revision“ sowie „Unbeugsam und ungebändigt – Dokumentarische Fotografie von 1979″ in Köln.

Drei anspruchsvolle und gleichwohl höchst anschauliche Ausstellungen, viel zu sehen, wenig zu lesen, kratzen sie dennoch an manchen lieb gewonnenen Schemata des vorherrschenden fotografischen Diskurses. Sie warten nicht nur mit einigen theoretischen Herausforderungen auf, sondern auch mit intelligenten inszenatorischen Kunstgriffen, die zeigen, dass die Fotografie noch Fragen aufwerfen kann, die bisher unbeantwortet blieben … Seit langem habe ich nicht derart anregende und interessante fotografische Ausstellungen gesehen. Viel Stoff zum Nachdenken. Eine junge Kuratorengeneration bringt wieder Dampf in den Kessel“.

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Gilian Wearing – Me as Mapplethorpe, 2009. Ausstellungfoto: Hartmut S. Bühler


Statements beteiligter Künstler(-innen):

„Auf der elementarsten Ebene ist alles, was ich täglich tue, mit Blättern von Papier zu arbeiten. Ich gestalte Farben und Farbstoffe auf dem Papier und schaffe so Objekte, die mehr Bedeutung haben als nur der Inhalt des Bildes auf ihrer Oberfläche. Diese Idee steht am Anfang aller meiner Arbeiten. Wie kommt Bedeutung in ein Stück Papier? Wie kann ein Stück Papier derart aufgeladen sein? Das Material selbst ist industriell gefertigt und besitzt keine eigenen Ausdrucksmittel. Unsere Menschlichkeit, unser Gehirn erfüllt es erst mit Leben. Entscheidend ist, wie wir die Dinge auf dem Papier gestalten, damit es irgendwie eine Darstellung des Lebens wird und Intentionen und Emotionen sichtbar macht.“
Wolfgang Tillmans (in „Abstract Pictures“, Ostfildern-Ruit, 2001)

„Ich betrachte Fotografie als eine Art elastischen Taillenbund. Der kann und sollte sich ausdehnen und so anpassen, dass er verschiedenen Figuren gerecht wird, genauso gut kann er aber sofort in seine ursprüngliche Form zurückschnipsen. Keine Passform ist ausdrücklich richtig oder falsch – es ergeben sich nur unterschiedliche Bequemlichkeitsgrade für den Träger oder die Trägerin.“
Clare Strand

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Barbara Probst – Exposure #104: N.Y.C. Vanderbilt & Lafayette Avenues, 01.13.13, 09:50 a.m.; 2013. Ausstellungsfoto: Hartmut S. Bühler

„Was ist Fotografie? Ist der Abzug gemeint, ein Objekt oder ein JPEG auf deinem Bildschirm? Existiert sie nur, wenn du sie ausdruckst? Zählt sie nur, wenn sie als große Datei vorliegt, als TIFF? Oder meint Fotografie den Schnappschuss auf deinem Telefon oder eine Diaprojektion oder eher das Bild, das du im Sinn hast, bevor du den Auslöser drückst? Ist damit jenes großartige Bild gemeint, das du nicht machen konntest, weil dein Film voll war oder die Kamera klemmte oder weil du sie schlichtweg nicht dabei hattest? Um es kurz zu machen: Ist Fotografie ein Objekt oder ein Bild, oder ist Fotografie eine Art des Sehens?“
Zoe Leonard

„Fotografie ist zu gut, um nur als Kunst wahrgenommen zu werden.“
Timm Rautert

„Die Fotografie stellt die Metaphysik der zeitgenössischen Bildkultur dar. Alle aktuellen visuellen Formen entstehen durch die Verwendung einer Kamera und die Gestaltung des Bildes durch Licht. Wir erleben heute die Evolution des Homo sapiens zum Homo photographicus: Ein Großteil unseres Wissens entstammt Bildern, die zudem unser Bewusstsein formatieren. Im Zeitalter des Homo photographicus wird Fotografie zu einem Mittel, sich über die Wirklichkeit Gedanken zu machen. Ihr Zweck liegt deshalb jenseits des persönlichen Ausdrucks oder dokumentarischer Absichten. Bilder sind nicht länger einfach nur Repräsentationen der Welt, sondern werden viel- mehr zur Welt. Mit diesem Wissen im Kopf ist es wichtig zu lernen, in Bildern zu leben. Noch wichtiger ist es, in Bildern zu überleben. Da wir Fotografen den größten Teil der Bilder in der Welt produzieren, müssen wir eindeutig Verantwortung übernehmen, denn wir generieren Erscheinungsformen der Wirklichkeit. Und ausgehend von diesen Erscheinungsformen treffen Menschen Entscheidungen, die ihr Leben bestimmen. Fotografie dreht sich eher um das Denken als um Ästhetik oder Information, und sie hat einen starken sozialen und politischen Einfluss – denken wir nur an das Zitat von Serge Daney, den früheren Chefredakteur der Cahiers du Cinema: ,Ein Anliegen ohne Bilder wird nicht nur übersehen, es geht vollkommen unter‘.“

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Ausstellungsfoto: Hartmut S. Bühler

(Mis)Understanding Photography / Museum Folkwang / Essen
www.museum-folkwang.de

Literatur:
Ausstellung (Mis)Understanding Photography – Werke und Manifeste gibt es ein Buch – 10 Euro – mit Kommentaren und Statements zu den ausgestellten Arbeiten.

Im Steidl Verlag erscheint demnächst die Publikation „Manifeste! Eine andere Geschichte der Fotografie“, herausgegeben vom Museum Folkwang und dem Fotomuseum Winterthur.

PHOTONEWS – ZEITUNG FÜR FOTOGRAFIE 07-08/14 auf S. 3 „Theorie lieben lernen. (Mis)Understanding Photography im Essener Museum Folkwang“ von Markus Weckesser

Links:
http://www.derwesten.de/kultur/das-missverstaendnis-der-fotografie-im-museum-folkwang-id9467238.html

http://www.spiegel.de/kultur/gesellschaft/foto-ausstellung-mis-understanding-im-museum-folkwang-essen-a-975200.html

http://www.monopol-magazin.de/artikel/20108606/-Mis-Understanding-Photography-Essen-Folkwang.html

http://kulturkenner.de/events/mis-understanding-photography-%E2%80%93-werke-und-manifeste-im-museum-folkwang

Text & Ausstellungsfotos: Hartmut S. Bühler