HARTMUT BÜHLER FOTOGRAFIE

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Bojan Vuletić im Planetarium der Musik in der Tonhalle Düsseldorf

Bojan Vuletić im Planetarium der Musik in der Tonhalle Düsseldorf

Der Düsseldorfer Klangkünstler, Gitarrist und Komponist über sein imaginäres Orchesterwerk zur Entstehung des Universums

Galileo Galilei hat musiziert und komponiert, Friedrich Wilhelm Herschel (1738-1822) war Komponist, Musiker und Astronom: er entdeckte 1781 den Planeten Uranus. Brian Harold May (*1947) ist Komponist, Sänger und Leadgitarrist der Rockband Queen und seit 2007 Doktor der Astrophysik. Prof. Dr. Rolf Chini (emeritierter Astrophysiker) an der Ruhr-Universität Bochum leitete eine Institutsband aus Astronom*innen. – Am 12. Juli d. J. wurde der Welt mittels Fotografien des James Webb Space Telescope der tiefste Blick ins Universum präsentiert, der jemals aufgenommen wurde: aus einer Zeit etwa 800 Millionen Jahre nach dem Urknall. Wenn der Düsseldorfer BOJAN VULETIC ein Werk über die Entstehung des Universums schreiben müsste, wie würde dieses wohl klingen? Und was würde den Komponisten, Gitarristen und Klangkünstler mit Diplomabschlüssen in Physik (über Galaxienentwicklung), Gitarre und Komposition an der Ludwig-Maximilians-Universität München, Hogeschool voor de Kunsten Arnhem und Messiaen Academie, Arnhem dazu antreiben?

BV: Bevor ich diese Fragen beantworten (und an ihnen scheitern) kann, gilt es etwas zu beschreiben, dass mich und uns alle (neben der Fähigkeit zu lieben) antreibt: Neugier und Faszination!
Welche Schönheit steckt doch in der Einfachheit und in der Komplexität der Welt? Ich selbst bin begeistert von der Wissenschaft und ihrem Versuch, Dinge zu verstehen, und suche doch gleichzeitig auch das Nicht-Zu-Verstehende und Unmögliche in der Kunst und Musik. Denn hier hört die Messbarkeit auf und sogar mathematische Gesetzmäßigkeiten können freudig ignoriert werden. Jede*r, der Mikhail Baryshnikov springen sah, spürt, dass dieser Tänzer ein klein wenig länger in der Luft bleibt, als es die Schwerkraft erlaubt.
Der Widerspruch zwischen Ratio und Kunst reizt mich ungemein und ich bin sicher nicht der Einzige, dem es so geht. Schließlich gibt es viele Naturwissenschaftler*innen, die auf großartige Weise ein Instrument spielen. Es gibt übrigens einige Erklärungsversuche für dieses Phänomen. So wurden die Zusammenhänge zwischen dem Kontrapunkt eines Johann Sebastian Bach und der Mathematik vielfach untersucht und sicherlich gibt es benennbare Parallelen in musikalischer und mathematischer Logik. Doch scheitern alle Erklärungen, sobald man den Bereich des Messbaren verlässt. Und das ist vielleicht auch gut und richtig, denn das Irrationale lässt sich zum Glück nicht so einfach einfangen.

Um meine persönliche Faszination für Kunst und Naturwissenschaft zu erklären, möchte ich noch einen Schritt zurücktreten und den Blick weiten.
Physik misst und untersucht. Sie versucht Gesetzmäßigkeiten für Vorgänge zu erkennen, die dann verifiziert werden können. Ein vielzitiertes Beispiel hierfür ist der Apfel, der Newton auf den Kopf fiel. Viele Messungen später weiß man, welche Kraft den Apfel immer wieder fallen lässt, welche Richtung er nimmt und dass er dabei keine gleichbleibende Geschwindigkeit innehat, sondern dies mit einer erd-immanenten Beschleunigung geschieht. Zwischen solchen wiederholt untersuchten Vorgängen werden dann Beziehungen gesucht und aufgedeckt, so dass sich größere wissenschaftliche Felder ergeben. Das einzelne Phänomen des Newtonschen Apfels fließt auf diese Weise in die größeren Felder der Mechanik und Gravitationsphysik hinein. Irgendwann wurde auch klar, dass Mathematik ein gutes Werkzeug ist, um Vorgänge abstrakt darzustellen, sie zu berechnen und Voraussagen zu treffen. Oft hat dann wiederum die Mathematik in ihrer Konsequenz zu physikalischen Voraussagen geführt, die erst im Nachhinein physikalisch nachgewiesen wurden.

Die Astronomie ist ein besonderer Zweig dieser Wissenschaft, denn mit sehr wenig messbarer Information und einfachen Annahmen ergibt sich ein durchaus plausibles Verständnis des Kosmos. Abgesehen von wenigen Menschen, die ins All geflogen sind und z. B. Mondstaub wiegen, durften, basieren all unsere Informationen aus dem Weltall auf nur einem Medium, dem Licht. Wenn wir versuchen, es mit unseren Mitteln der Optik zu vermessen, spielt dieses Licht uns Streiche, manchmal erscheint es uns als Teilchen und manchmal als Welle. In der Astronomie haben wir also sehr wenig messbare und rein optische Informationen, die wir aber relativ einfach analysieren können.

Diese systematische Klarheit fächert sich im Detail natürlich zu komplexen mathematischen Zusammenhängen auf, ist aber im Kern in der Astrophysik immer präsent. Deswegen kann man einem interessierten Laien auch ohne mathematische Formeln alle grundlegenden kosmologischen Erkenntnisse begreiflich machen. Es lässt sich zum Beispiel ganz einfach verstehen, warum das James Webb Space Telescope rückwärts in die Zeit blicken und Bilder aus der Kindheit des Universums liefern kann: Das Licht bewegt sich mit einer festen Geschwindigkeit durch das Universum – je länger der Weg, den es zurücklegt ist, desto weiter zurück ist die Zeit, in die wir blicken. Hier manifestiert sich eine einzigartige Eigenschaft der Astrophysik: Wir können direkte Informationen aus unterschiedlichen Zeitaltern erlangen und damit unmittelbar in die kosmologische Geschichte hineintauchen, z. B. mittels des James Webb Space Telescope. In meiner Diplomarbeit habe ich daher (mit den Daten anderer Teleskope) Galaxienhaufen unterschiedlichen Alters analysieren können, um Aussagen zu Galaxienentwicklung verifizieren zu können – schlicht indem ich nahe (ältere) Objekte mit fernen (jüngeren) Objekten verglich. Manche photometrischen Spektren benötigten eine ganze Nacht Belichtungszeit und man begrüßte freudig und dankbar quasi jedes Photon einer sehr weit entfernten elliptischen Galaxie.

Eine andere grundlegende Erkenntnis der Kosmologie ist die gleich verteilte Hintergrundstrahlung, die wegen ihrer niedrigen Energie mit ungefähr drei Kelvin nur knapp über dem absoluten Temperaturnullpunkt liegt. Sie ist eine das ganze Weltall erfüllende, isotrope Strahlung im Mikrowellenbereich und gilt als wichtiger Beleg für die Theorie des Urknalls. Über die Zeit vor dem Urknall gibt es keine Information, aber wir gehen davon aus, dass alle Materie unseres Universums in einem Punkt komprimiert war. Diese ungeheure Dichte wurde irgendwie entfesselt – durch Zufall oder someone pushed a button – und der Materiepunkt explodierte: Big Bang. Die Ausbreitung dieser Explosion ist am Rande unseres Universums immer noch zu beobachten.

Nach all dem Gesagten versteht man hoffentlich meine Antwort auf die Frage, wie eine Komposition über die Entstehung des Universums klingen könnte. Wollte man den Kosmos mit seinen Grundphänomenen in der Musik abbilden, so kann man mit konventionellen musikalischen Mitteln bestimmte Aspekte spiegeln (wie z. B. die Orchestersuite Die Planeten des englischen Komponisten Gustav Holst).
Mich reizt eher ein kompositorisches Gedankenexperiment. Letzteres bezeichnet übrigens die in der Physik beliebte Konstruktion einer Situation, die nie in der Realität verwirklicht werden kann aber doch etwas Erhellendes als Antwort zu liefern vermag. Erlaubt man sich diese Freiheit, könnte es auf eine Komposition wie folgt hinauslaufen:

Das Orchester ist die gesamte musikalische Menschheit – alle Musiker*innen gemeinsam in all ihrer Buntheit und Vielfalt.

Am Anfang eine zeitlose Phase absoluter Stille und Bewegungslosigkeit mit größter Anspannung.

Dann eine plötzliche Explosion des gesamten musikalischen Ensembles ohne Festlegung des zu spielenden Materials und in einem Moment des unkontrollierten Chaos – falls man an Gott glauben sollte und diese weiblich ist: getriggert durch eine gottgleiche Dirigentin.

Danach ein langer abebbender musikalischer Atem, in dem sich einzelne musikalische Gruppen formieren, jede mit einer eigenen musikalischen Sprache.

Manchmal verglüht ein Teil-Ensemble und erkaltet, vielleicht treten deren einzelne Musiker*innen in neue Wechselwirkungen mit anderen Teil-Ensembles, die diese anziehen. Ebenso kann ein größeres Ensemble ein kleineres musikalisch schlucken oder zwei Ensembles können sich umkreisen.

Der Gesamtklang ist eine Überlagerung von schier unzähligen musikalischen Entitäten – völlig polyphon und -rhythmisch, in allen existierenden Tempi und Metren, aus allen musikalischen Kulturen der Menschheit schöpfend.

Über allem liegt ein fast nicht hörbarer, konstanter Ton. Vielleicht gespielt von einer Orgel, bei dem das Rauschen, das durch die Luftzufuhr in die Pfeifen entsteht, mit dem gespielten Ton in perfekter Balance steht – im obersten für Menschen gerade noch wahrnehmbaren Klangspektrum.

Es gibt drei mögliche Enden für die Komposition (abhängig davon, wie hoch der Anteil dunkler Materie an der Energiemenge des Universums ist).
CODA 1 wäre ein immer weiter expandierendes Universum, musikalisch umgesetzt als unendlich langer Fade-Out der Instrumente.
CODA 2 wäre ein Universum, dessen Expansion immer langsamer wird, das aber dennoch einen asymptotischen Grenzzustand erreicht. In diesem Fall würde die Musik immer langsamer werden und alle noch spielenden Instrumente auf dem letzten Ton stehenbleiben.
CODA 3 wäre ein wieder in sich zusammenfallendes Universum, die Musik verdichtet sich, bis sie wieder in einem Ton-Punkt mit allen Instrumenten zusammenfindet.

Die Physik lebt von Ideen und Visionen, so wie auch die Kunst und Musik. Diese Komposition ist unaufführbar und doch ist die Tatsache, dass wir Menschen uns so etwas vorstellen können, ganz wunderbar – in jedem Kopf ein Universum mit Ratio und Unvernunft.

Besonderen Dank an Astrophysiker Dr. Markus Nielbock vom Max Planck Institut für Astronomie Heidelberg, der mir bei Recherchen geholfen hat. Herzlichen Dank an die Tonhalle Düsseldorf – Frau Anke Pfeuffer, Intendant Michael Becker, das Dispo- und Technik-Team die dieses Porträt unter dem Planetarium der Musik ermöglicht haben.

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Musikalische Zusammenarbeiten verbinden Vuletić u. a. mit Markus Stockhausen, Nate Wooley, Zeena Parkins, sOo-Jung Kae, Jon Irabagon, Ingrid Laubrock, Bojan Z, Alina Bercu, MIVOS string quartet, WDR Big Band, Metropolitan Cathedral Choir Liverpool, Biyuya Ensemble, NOTABU Ensemble, Duisburger Philharmoniker, WDR Rundfunkorchester und -chor, Düsseldorfer Symphoniker. Vuletić realisierte Ausstellungen in Zusammenarbeit mit der Künstlerin Danica Dakic auf der documenta 12 Kassel, der Biennale Liverpool und La Biennale di Venezia 2019. Er komponierte und war musikalischer Leiter für über 50 internationale zeitgenössische Tanz- und Theaterstücke. Vuletić ist Förderpreisträger 2012 der Stadt Düsseldorf und war 2014-16 musikalisch-künstlerischer Leiter des Jungen Schauspielhauses Düsseldorf. Seit 2012 leitet er gemeinsam mit Christof Seeger-Zurmühlen das von ihnen gegründete, interdisziplinäre Düsseldorfer asphalt Festival. Nach Gastdozenturen am Dong-Ah College in Seoul (2006) und an der Ruhruniversität Bochum (2013/14) hatte er 2016/17 eine Vertretungsprofessur an der BAUHAUS-Universität Weimar im Master-Studiengang Kunst im öffentlichen Raum und neue künstlerische Strategien inne. URL: bojanvuletic.com