HARTMUT BÜHLER FOTOGRAFIE

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Wolfgang Tillmans – Der Messi der Fotografie

Wolfgang Tillmans – Der Messi der Fotografie

Wolfgang Tillmans – Der Messi der Fotografie
Zum Staunen geht es hinunter in den Keller: Im Untergeschoss des K21-Museums in Düsseldorf hat Wolfgang Tillmans seine umfangreiche Werkschau „mit retrospektivem Blick“ als Gesamtinstallation persönlich eingerichtet. Die Ausstellung polarisiert und überwältigt.
Die Bilderwelt, die der Remscheider Kunstfotografen uns zeigt, ist eine wunderbare Welt: er sieht das Leben, sein Leben, mit unverkrampftem Blick vorurteilsfrei und lässt uns daran teilhaben. Wolfgang Tillmanns: „Ich wollte immer grundsätzlich verstehen: wer bin ich, wo bin ich, was ist das alles? Über diese Fragen bin ich dann auch zum Bildermachen gekommen.“

Der Starfotografie wird in der Landeshauptstadt gerne gehuldigt: dies bezieht sich nicht nur auf die Protagonisten der Glamourbranche, sondern auch auf die Spezies Starfotografen. Ob Bettina Rheims, Herb Ritts, Jim Rakete, Albert Watson, Peter Lindbergh, Michel Comte oder in den letzten Monaten Rankin, Bryan Adams, Thomas Struth und Andreas Gursky, allen wurde im NRW-Forum Düsseldorf oder in der Kunstsammlung NRW eine Plattform gegeben. Doch von den Becher-Schülern oder den Hochglanz-People-Fotografen unterscheidet sich der sympathisch-uneitle Remscheider erheblich.

Obwohl auch er ein Star ist – und was für einer: Ihm wurde 2000 als erstem nicht britischen Künstler und erstem Fotokünstler überhaupt der Turner Preis zuerkannt, die wichtigste Auszeichnung für moderne Kunst der britischen Insel. Tillmans prägte mit seinen Bildern die 90er Jahre. Die englischen Magazine Spex und i-D druckten seine Bilder mit den Motiven seiner Freunde und junger Menschen aus der Clubszene und der Popkultur. Tillmans erste Arbeiten sind Fotokopien von Zeitungsbildern und eigenen Fotografien. Sie gehen zurück auf Experimente mit einem der ersten digitalen Schwarzweiß-Fotokopiergeräten.

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Wolfgang Tillmans: „Für mich ist Fotografie ein Dialog zwischen dem Fotografierten und dem Fotografierenden, eine Projektion, eine Hoffnung und eine Vermutung, was dabei herauskommen mag. Bei der analogen Fotografie wird das erst ein paar Tage später sichtbar. Du siehst zwar im Sucher, was du fotografierst, aber der Übersetzungsprozess, der das Magische und Psychologische an der Fotografie ausmacht, ist eben nicht nur optomechanisch. Fotos sind auch geistig aufgeladene Dinge. Dies hatte früher seinen ganz eigenen Raum. Jetzt siehst du eine halbe Sekunde nach der Aufnahme das Bild auf dem Display. Für mich wurde dadurch ein gewohntes Vorgehen mit einer massiven Störung konfrontiert. Also musste ich lernen, das zu ignorieren.“

Die Bandbreite und Vielschichtigkeit seiner Werke reicht von astronomischen Himmelsaufnahmen – „Ich wollte Astronom werden.“ – über Interieurs, Landschaften, Portraits, Videoarbeiten und abstrakte Bilder, die ohne Kameralinse entstehen.

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Tillmans speichert seine Bilder erst direkt, seit es den Vollformat-Chip für Fotokameras gibt. Zuvor arbeitete er analog und hat während dieser Zeit „mit tausenden Filmen, die entwickelt wurden, die Umwelt geschädigt“. Aber mit der Existenz des dem analogen Film von 24×36 Millimetern entspechend großen Kamerachip ist die Zeit gekommen, die digitale Kamera ernst zu nehmen. Jedoch lehnt der Fotokünstler jede Art von Technikfetischismus ab und entzieht sich kategorisch technischen Diskussionen.
Wolfgang Tillmans: „Die Beurteilung des Bildes in seiner tieferen Qualität erfolgt dann später am Computer. Das ist auch einer der Gründe, warum ich grundsätzlich nichts nachträglich bearbeite oder retuschiere. Ich glaube an die Magie des Bildenstehungsprozesses im Zeitpunkt des Fotografierens. Man soll meinen Bildern vertrauen können.“

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Darüber hinaus zeigt Tillmans auch sogenannte Truth Study Center Tables, in denen seine politisch-sozialen Überzeugungen zum Ausdruck kommen. Diese Tischinstallationen beinhalten und präsentieren Fotografien, Fotokopien, Zeitungsartikel und ausgewählte Materialien, die seine in Einzelfotos angesprochenen Themenkomplexe verstärken. Im Zentrum des Schaffens von Wolfgang Tillmans steht die Frage nach dem Bild und die Auseinandersetzung damit, wie Bedeutung auf einem Papier entsteht.

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Einige der einflussreichsten Innovationen bei der Präsentation von fotografischen Bildern im Museumskontext sind direkt auf ihn zurückzuführen. Er mischt Größen, Genres, Verfahren und formt die Beziehungen zwischen und die Erfahrbarkeit von seinen Bildern für jeden Ausstellungsort neu. Tillmans wendet sich ab von der vergeistigteren Hängung einzeln gerahmter Bilder traditioneller Museumspräsentation.
Apropos: „Wenn Fotografen Sammler sind, dann ist Wolfgang Tillmans der Messie unter den Fotografen“ schreibt Damian Zimmermann in der taz vom 04. März. Ob das ein zweifelhaftes Kompliment ist, kann der Besucher selbst entscheiden. Unser ruhr.speak-Autor vermutet jedoch ein ehrliches Kompliment, und glaubt, Zimmermann habe versehentlich nur ein e hinter Messi gesetzt.
Tillmans Fotoarbeiten und vorher nie gezeigte frühe zeichnerische Werke aus 25 Jahren sind zu sehen im K21 Ständehaus in Düsseldorf.

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Die letzte umfangreiche Werkschau gab es vor zehn Jahren in der Tate Britain, London. Großzügig
diese Geste von Museum und Fotograf – jeder Besucher erhält zum Eintrittspreis den gewichtigen Ausstellungskatalog.

Text und Ausstellungsfotos – Hartmut S. Bühler