HARTMUT BÜHLER FOTOGRAFIE

HARTMUT BÜHLER FOTOGRAFIE

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Otto Steinert

Otto Steinert

Otto Steinert – Absolute Gestaltung im Museum Folkwang
Am 12. Juli 2015 wäre Otto Steinert 100 Jahre alt geworden. In Würdigung dieses sehr einflussgebenden Fotolehrers, Fotografen, Bildautors, „Fotolobbyisten“, Kurators und Historikers präsentiert das Museum Folkwang eine Ausstellung mit rund 80 Werken aus dem umfangreichen Steinert-Nachlass, der für die Fotografische Sammlung erworben werden konnte.

Als Professor an der Essener Folkwangschule prägte Steinert ab 1959 eine Generation von Studenten und festigte den bis heute hervorragenden Ruf der fotografischen Ausbildung. Nach seinem Tod 1978 ging die von ihm aufgebaute Studiensammlung an das Museum Folkwang über – sie bildet bis heute den Grundstock der Fotografischen Sammlung (mehr als 60.000 Fotografien, vor allem Vintage-Prints).

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Otto Steinert Bildnis hell – dunkel, 1950 / Portrait Bright – Dark Bromsilbergelatine, Fotomontage, Vintage Print © Nachlass Otto Steinert, Museum Folkwang, Essen

„Subjektive Fotografie“ war der Titel einer Ausstellung, die 1951 in Saarbrücken veranstaltet wurde und Werke der 1949 gegründeten Gruppe fotoform präsentierte. 1950 hatte fotoform einen ersten Aufsehen erregenden Auftritt auf der Photokina-Messe. 1951 erfolgte die erste große Ausstellung als Ereignis der internationalen Fotografie und Kunst, unter der Bezeichnung „Subjektive Fotografie“ in Saarbrücken.

1952 zerbrach die Gruppe, durch den Eintritt von Steinert, Peter Keetman und Schneider in die GdL (Gesellschaft deutscher Lichtbildner), die bereits vor dem Zweiten Weltkrieg bestand. Ab da trat die Bezeichnung „Subjektive Fotografie“ in den Vordergrund, fotoform bestand bis 1958. Spiritus Rector dieser Unternehmungen war Otto Steinert, weitere Mitstreiter waren Peter Keetman, Toni Schneiders, Siegfried Lauterwasser und Heinz Hajek-Halke. Die Gruppe favorisierte das „persönliche Gestaltungsmoment“, was das auch immer heißen mochte. Auf jeden Fall galten Technik und Abbildcharakter der Fotografie als negative Werte. Steinert sprach auch gerne von „absoluter Fotografie“, was nun etwas ganz anderes meint als „subjektive Fotografie.“ (aus C. H. Beck Wissen Verlag – Wolfgang Kemp: „Geschichte der Fotografie – Von Daguerre bis Gursky“, 2. Auflage 2014, Kapitel Subjektive Fotografie, Seite 81).

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Otto Steinert, Luminogramm 1, 1952.Bromsilbergelatine, Vintage Print. © Nachlass Otto Steinert, Museum Folkwang, Essen

Auffällig ist, dass Steinert in seiner Nachkriegsfotografie alles Lebendige und Spontane ausklammert. Ihn interessierte nicht der Erinnerungswert eines Fotos, sondern nur dessen formale Qualität. Steinert fing nicht Momente der Wirklichkeit ein, sondern inszenierte sie als Kontrast von Schwarz und Weiß. An die Stelle der Abbildung von Wirklichkeit setzte Steinert „die Autonomie einer eigenen Bildwirklichkeit“.

Typisch ist die intensive Abstimmung von Schwarz, Grau und Weiß aller Abzüge, für die er, wie seine Schüler berichten, im Einzelfall bis zu acht Stunden brauchte, um am Ende neun von zehn Versuchen wegzuwerfen. Gefürchtet waren seine Beurteilungen. Autoritär, unerbittlich, pedantisch, „schulmeisterlich“, mitunter cholerisch war der auch als charismatisch beschriebene Steinert gegenüber seinen Schülern. Weniges hielt vor seinen Augen stand. „Kontrastreiche Abzüge, radikale Ausschnitte, abstrakte Strukturen, surreal wirkende Situationen, Negativabzüge oder Solarisationen wurden zu den beliebtesten Ausdrucksformen von Steinert und seinen Schülern.“ (Dr. Marianne Bieger-Thielemann, Fotohistorikerin).

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Ein-Fuß-Gänger, 1950, Bromsilbergelatine, Langzeitbelichtung, Leica 9 cm. © Nachlass Otto Steinert, Museum Folkwang, Essen

Ein typischer Eingriff der Stilrichtung subjektiver Fotografie war die „Entmaterialisierung“ des Bildganzen oder einzelner Objekte. Exemplarisch hierfür ist Steinerts Motiv „Ein-Fuß-Gänger“, erstellt 1950 in Paris aus extremer Vogelperspektive. Vom Fußgänger übrig bleibt allein nur ein scharf abgebildeter Fuß. Für seine wichtigsten Arbeiten entwickelte Steinert eine normierte Präsentationsweise im Format 55 x 65 cm. Fortan fertigen er und eine ganze Generation Schülerinnen und -schüler die Ausstellungsabzüge auf die gleiche Weise: hochglanzgetrocknet und aufgezogen auf Bristolkarton (benannt nach der engl. Stadt, ein aus drei oder mehr Lagen zusammengeklebter Karton; Deckschichten werden aus holzfreien Stoffen hergestellt; Einlage ist im Allgemeinen holzhaltig; weist hohe Biegesteifigkeit auf und ist nut- und rillfähig). Diese besondere Materialität und auch die funktionale Verwendung als Tafeln in Ausstellung und Unterricht hat sich diese Museumspräsentation zu eigen gemacht.

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Foto aus der Ausstellung / Hartmut Bühler

Vor 60 Jahren veröffentlichte OS im Begleitbuch zur Ausstellung „Subjektive Fotografie“ seinen zentralen Text „Über die Gestaltungsmöglichkeiten der Fotografie“. Darin unterscheidet er fünf fotografische Gestaltungselemente: Die Wahl des Motivs und Ausschnitts, die fotografische Perspektive, die fotooptische Abbildung (durch die Wahl des definierten Bildraums), die fotografischen Tonwerte und Länge der Belichtungszeit. Darüber hinaus formuliert er vier Stufen des fotografischen Schaffens, die von der Abbildung hin zur Gestaltung führen und in einer darstellenden fotografischen Gestaltung ihre künstlerischen Vollendung finden.

Dieser Versuch einer Systematik sollte den künstlerisch ambitionierten Fotografen eine Auswahl an Kriterien an die Hand geben und ihnen helfen, sich von der „Vermassung der Fotografie“ zu distanzieren, die Steinert schon damals als Problem seiner Zeit kritisierte. OS hatte wichtige Positionen in der Fotoszene inne. So wurde er 1951 Mitglied der DGPh Deutschen Gesellschaft für Photographie, deren Erweitertem Vorstand von 1954-78 angehörte. In die Gesellschaft Deutscher Lichtbildner trat er 1957 ein. Dort war er von 1964-74 Vorsitzender. 1976 verließ er die GDL.
„Die Photographie ist als das bisher breitenwirksamste Mittel berufen, das visuelle Bewusstsein unserer Zeit maßgeblich zu formen. Als die allgemeinverständlichste und in der Handhabung zugänglichste Bildtechnik ist sie besonders geeignet, die Verständigung unter den Völkern zu fördern.“ (Katalog der Ausstellung „subjektive fotografie“, Hg. Otto Steinert).
Steinert, 1915 geboren in Saarbrücken, von Beruf Arzt und ohne Ausbildung als Fotograf, hat sich nie als Künstler verstanden. Er nannte sich „Lichtbildner“. In diesem altmodischen Wort steckt die Verneigung vor Begriff und Begründern der „Photographie“, zugleich aber der Schlüssel zu Steinerts Arbeitsweise. Steinert trat am 01.06.1936 der NSDAP bei, ab 1937 diente er der Wehrmacht als Fahnenjunker im Sanitätskorps und war während des Zweiten Weltkriegs Arzt bei der Wehrmacht.

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Foto der Ausstellung / Hartmut Bühler

Zu den Kritikern von OS zählt beispielsweise der Kunstschriftsteller Jan Thorn-Prikker (*1949), der dessen Fotografieauffassung als „Ästhetik des totalen Geschichtsverlustes“ und den Fotografen als „Bilder-Verdränger“ beurteilt und dessen nicht geklärte Rolle im Dritten Reich als zentralen Ansatzpunkt seines Fotografieverständnisses proklamiert. „Otto Steinert war Militärarzt gewesen. Er hatte die schlimme Zeit im Krieg miterlebt. Er konnte die Wirklichkeit nicht länger sehen, weil er sie nicht sehen wollte.“ (Jan Thorn-Prikker in: European Photography1991, S. 8). Gerüchte darüber, dass OS während des Krieges der SS angehört habe, konnten weder bestätigt noch entkräftet werden.
Ergänzt wird die Ausstellung „Otto Steinert – Absolute Gestaltung“ durch Werke des abstrakten Expressionismus der Malerei dieser Jahre. Bedauerlich und unverständlich: es gibt keine Broschüre, keinen Katalog zur Jubiläumsausstellung. Dies obwohl Steinert Essen „zu einem der wichtigsten Ausbildungsorte für Fotografie in Europa machte“ (Florian Ebner, Leiter der Fotografischen Sammlung im Museum Folkwang und Nachfolger von Ute Eskildsen).
Fündig wird der Suchende stattdessen in der im Museum Folkwang integrierten Buchhandlung Walther König. Dort sind noch ganz wenige großformatige Kataloge erhältlich: „Otto Steinert – zwölf Fotografien im Lichtdruck“ im Schuber. Es handelt sich dabei um Restexemplare der insgesamt 200 numerierten Exemplare für den Kunstring Folkwang Essen, herausgegeben von Ute Eskildsen. Preis: einhundert Euro.

www.museum-folkwang.de