HARTMUT BÜHLER FOTOGRAFIE

HARTMUT BÜHLER FOTOGRAFIE

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Weegee – the Myth

Weegee – the Myth

Weegee – the Myth
Eine Empfehlung nach Oberhausen zu reisen. Gerade heute, wo die Street Photography durch restriktive Urheberrechte nahezu unmöglich gemacht wird, das Genre sich aber weltweiter Beliebtheit erfreut, lohnt ein Besuch der Ausstellung „WEEGEE – The Famous“ in der Ludwiggalerie unbedingt.

Nomen est omen – der Name ist ein Zeichen. „Weegee“ ist das Pseudonym, das sich der Fotograf Arthur Fellig zulegte. Vorbild war des Ouija-Brett*, das für spiritistische Sitzungen verwendet wird. Nicht eben unbescheiden, nannte sich der 1899 in Zloczew bei Lemberg (damals Österreich, heute Ukraine) geborene Sohn eines Rabbiners „Weegee the Famous“. Den Namen Weegee verdankt er nach eigener Aussage dem Gerücht, er verfüge über telepathische Fähigkeiten. Apropos Synonym: eine banale Interpretation lautet, daß Fellig Fotoarbeiten mit einer Art Gummiwischer getrocknet habe – engl. Squeegee. Daraus wird Weegee.

Seit 1938 offiziell ausgestattet mit einem Polizeifunkgerät, ist Weegee meist der Erste am Tat- oder Unglücksort. Eine Dunkelkammer installiert er in seinem Auto. So sind denn seine Fotos bereits Zeitungsaufmacher, als noch niemand vom Ereignis überhaupt Kenntnis hat. Eine harte Lichtführung kennzeichnet seine Arbeitsweise. Der grelle Blitz erzeugt oft „blasse Nachtgestalten“ und hebt dabei die Dunkelheit als seine hauptsächliche Arbeitszeit hervor. Weegees Bilder sind Ikonen des Genres Street Photography. Und seit dem Wandel des Kunstbegriffs in der Nachkriegszeit werden seine Fotos zudem nicht nur als bedeutende Zeitdokumente, sondern auch als Kunstwerke hoch geschätzt.

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Wer und was auch immer über Fotograf Fellig gesagt oder geschrieben wurde und wird: Weegee ist unbestritten eine der spannendsten Persönlichkeiten, die je eine Kamera in den Händen hielt. Er hat nicht nur so bedeutende Namen wie Diane Arbus, Helen Levitt, Wiliam Klein oder Stanley Kubrick inspiriert, sondern beeinflußte maßgeblich unser aller Bild von Weegee-City New York der 1930er und 1940er Jahren.

Ein wechselvolles Fotografen-Leben

Bitter arm war die Familie Fellig in der Lower East Side Manhattans und lebte in unwürdiger Enge, etwa 500.000 jüdische Einwanderer lebten auf einem Gebiet von knapp einer Quadratmeile. Der Vater verdingte sich als Tagelöhner und Hilfsarbeiter, um die Familie mit sieben Kindern zu ernähren. Mit 14 Jahren beginnt Arthur als Süßigkeitenverkäufer und Straßenfotograf seinen Lebensunterhalt zu bestreiten. Er machte Blechfotos, sogenannte Ferrotypien und erhält bald eine Anstellung bei einem Berufsfotografen.

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Doch der junge Arthur hatte eine zweite starke Begabung: er spielt Geige. Mit fünfzehn hat er sich eine Geige für fünf Dollar gekauft. Er nimmt einmal die Woche Unterricht im Gemeindehaus, in dessen Orchester er auch spielt. „In meinem Leben und in meinen Träumen war die Geige fast genauso wichtig wie die Photographie.“ (Weegee, Weegee’s New York). Es war die Stummfilmzeit, und er tritt abends in einem Kino an der Third Avenue auf. Der aufkommende Tonfilm beendet seine Musikerkarriere.

Ein erster fotografischer Durchbruch gelingt ihm 1935 mit den Axtmördern von New Jersey: ein Liebespaar, das die Mutter des Mädchens, die sie beim Liebesspiel ertappt hatte, mit der Axt erschlug. Die Fotos dieses Paares bringen es auf die Titelseite der Herald Tribune, und LIFE widmete ihm einen Artikel.

1941 folgt die erste Ausstellung in der Photo League in New York, „Weegee: Murder is my business“, das Museum of Modern Art kauft einige seiner Fotografien. 1945 veröffentlicht er sein erstes Buch, „Naked City“. Das Buch erscheint in sechs Auflagen und wird ein enormer Erfolg. 1946 folgt „Weegee’s People“, Weegees Blick auf die Stadt, die er liebte, ohne Verbrechen, Gewalt, Feuer und Unfälle. Es war nicht annähernd so erfolgreich wie „Naked City“, aber Weegee beschließt dennoch, seine Laufbahn als Pressefotograf zu beenden.

1947 geht Weegee nach Hollywood, um Mark Hellingers Verfilmung von „Naked City“ zu überwachen. Er spielt kleinere Rollen in verschiedenen Filmen: einen Straßenfotografen („The Naked City“, 1948; dt. „Die nackte Stadt“/“Stadt ohne Maske“), einen Pressefotografen („Every Girl Should Be Married“, 1948; dt. „Jedes Mädchen müßte heiraten“), einen Zeitrichter bei einem Boxkampf („The Set Up“, 1949; dt. „Ring frei für Stoker Thompson“, BRD / „Verbrechen im Boxring“, Österreich), einen Taxifahrer („The Yellow Cab Man“, 1950; dt. „Der Unglücksrabe“) und einen Faulpelz in einem Unterschichtviertel („Journey into Light“, 1951) – Charaktere die Fellig vertraut waren.

1947 heiratet er Margaret Atwood (nicht zu verwechseln mit der gleichnamigen Schriftstellerin), von der er sich 1950 scheiden läßt.

1952 kehrt er nach New York zurück und beginnt, mit verschiedenen fotografischen Linsen zu experimentieren, arbeitet mit Spiegelungen und Verzerrungen, was zu seiner Serie „Distortion“ mittels dem eigens entwickelten „Weegeescope“ führt: fotografische Portraits Prominenter, die in der verzerrten Optik wie Karikaturen erscheinen. Diese Bilder waren, ebenso wie sein Buch „Naked Hollywood“, nur mäßig erfolgreich.

In den 1950er-Jahren reist Weegee durch Rußland und Europa, befasst sich mit Buch-, Ausstellungs- und Filmprojekten. Am 26. Dezember 1968 stirbt er in seinem Haus in der 47. Straße in Manhattan, in dem er seit 1957 mit seiner Lebensgefährtin, der Sozialarbeiterin Wilma Wilcox (†1993) lebte. Sie war auch die Verwalterin seines Nachlasses, den sie kurz vor ihrem Tod dem International Center of Photography übergab.

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Weegee-Worte:
„Ich hatte die berühmten Bilder eines berüchtigten Jahrzehnts gemacht… Ich hatte die Seele der Stadt fotografiert, die ich in- und auswendig kannte und die ich liebte.“

„Ich habe keine Hemmungen – und meine Kamera auch nicht.“

„Mord ist mein Geschäft. Offiziell wurde so ein Mord erst dadurch, daß ich kam und das letzte Foto machte; und ich gab mir Mühe, aus diesen letzten Fotos wirkliche Kunstwerke zu machen.“

„I am the Renoir of the Lens.“

„Je mehr Blut und Sex, desto besser.“

Weegee über Weegee: „Ein besserer Name oder ein besserer Fotograf ist mir nie begegnet.“

„Ich bin wie eine Marke, wie Aspirin.“

„Weegee and his love – his camera.“… „similar to the pulp fiction he lives for his work and finds erotic pleasure in the violence circumscribbing his job.“

„I am the Official Photographer for Murder, Inc.“

„Ich hatte Flügel bekommen. Ich brauchte nicht mehr zu warten, bis das Verbrechen zu mir kam; ich konnte zu ihm kommen. Der Polizeifunk gab meinem Leben Halt und Orientierung.“
(Weegee: Mord ist mein Geschäft)

„Wenn Du spürst, daß eine Verbindung zwischen dir und den Menschen, die du fotografierst, besteht, wenn Du mit ihnen lachst und weinst, dann weißt du, dass du auf der richtigen Spur bist.“

(Zitate entnommen u. a. dem Kurzführer Weegee-The Famous und der gleichnamigen Museumsbroschüre, Ludwiggalerie)

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WEEGEE – The Famous / Ludwig Galerie Schloß Oberhausen
Die Ausstellung mit mehr als 100 Fotos entstand in Kooperation mit dem Institut für Kulturaustausch Tübingen. Sie wird gefördert durch die Irene und Peter Ludwig Stiftung, die Sparkasse Oberhausen und WDR3.

Führungen und Extras zur Ausstellung:
siehe Website der Ludwiggalerie. Zum Thema Weegee gibt es auch spezielle Angebote für Kinder und Jugendliche.

Anfahrt für Nicht-Oberhausener zur Ludwiggalerie Schloß Oberhausen:
ab Hauptbahnhof Oberhausen mit dem Omnibus. Jedoch, die Linie 122 ist nicht mehr in Betrieb, wie im entsprechenden Museumsflyer notiert. Stattdessen die Bus-Linien 956 und 966 nehmen und Wartezeiten einkalkulieren.

Interessant im Kontext Weegee-Tatortfotos-Moral und Sensationsgier:
2006 gab es zu diesem Themenkomplex eine erhellende Ausstellung im NRW-Forum Kultur und Wirtschaft, Düsseldorf. „(Tat)orte“ zeigte Fotos von Enrique Metinides, Arnold Odermatt, Weegee und Archivbilder des Los Angeles Police Departement. Hier die Besprechung von Florian Blaschke, Deutsche Welle

* Das Ouija wi:ʤə oder auch Hexenbrett genannt, betrachten Anhänger des Spiritismus als ein Hilfsmittel, um mit Geistwesen in Kontakt zu treten, ähnlich wie beim Gläserrücken. Weitere Bezeichnungen sind Alphabettafel, Witchboard, Seelenschreiber und Talking Board. Das Wort Ouija wurde vermutlich aus dem französischen Wort „Oui“ (welches „ja“ bedeutet) und dem deutschen Wort „ja“ gebildet. Angeblich gaben die Frauen von „ACME Newspictures“ (United Press International Photos) dem damaligen Fotolaboranten Arthur Fellig den Spitznamen Weegee. Bei ACME wurde er zum besten Printer und schaffte es dabei an einem Arbeitstag bis zu 1.000 Abzüge fertigzustellen.

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Charles Sodokoff und Arthur Webber, 1942 © Weegee/ Institut für Kulturaustausch, Tübingen 2013.

Spannender Lesestoff über Weegee:
Der Mann mit den drei Identitäten (aus Ascher/Usher Fellig wird Arthur Fellig und aus AF wird Weegee):
einestages Zeitgeschichte auf Spiegel Online

Weegee Naked City, antiquarisch:
Aus dem Amerikanischen von Reinhard Kaiser.
Neuauflage
Erstausgabe für 700 €

Videos, z. B.:
http://www.youtube.com/watch?v=6OKozNy2CDQ
http://www.youtube.com/watch?v=6OKozNy2CDQ
http://www.youtube.com/watch?v=ov-1WNOh-Gc
http://www.youtube.com/watch?v=iP4Y_fAvOgY

Text & Ausstellungsfotos: Hartmut S. Bühler